Begegnung in Bordeaux
Begegnung in Bordeaux
Eine Geschichte aus dem Buch: „Aus meinem Logbuch“ Heitere und ernste Kapitänserinnerungen, erschienen im Zeitgut Verlag Berlin.
Wenn ich mit meinem Schiff europäische Häfen anlaufe, treffe ich oft bekannte Gesichter. Manchmal ist es ein Lotse, der mich schon einmal beraten hat, oder ein mürrischer Agent, dem meine Nase nicht gefiel, doch meistens ist es der freundliche Schiffshändler und manchmal auch ein übereifriger Vorarbeiter. Und dann freue ich mich, wenn auch sie mich erkennen und sich an mich erinnern. Das ist ein gutes Gefühl und es sagt mir: Du gehörst dazu, zum Teil dieser weiten Welt.
Doch manchmal überraschen mich ganz besondere Begegnungen, die eigentlich kein Zufall sein können.
So eine Begegnung hatte ich in Bordeaux.
Die M/S „Ostestrom“ im Hafen.
Als wir mit der gerade entladenen M/S „Ostestrom“ den irischen Hafen Cork verließen, hatten wir noch keine konkrete Order. Nur: „Richtung Kontinent“, sagte der Reeder, „und später melden, wir arbeiten dran.“
Solche Aussagen waren in der kleinen Trampfahrt üblich. „Lass dich überraschen“, sang dann der Steuermann und hatte Lust zum Wetten. „Rotterdam, Hamburg, noch weiter östlich oder gen Süden nach Spanien – was meinen Sie?“
Nach 16 Stunden kam die richtige Order: „Bordeaux, Frankreich, Gerste laden.“
Mit Lotsenberatung schob sich das Schiff durch die trüben Wasser der Gironde und Garonne bis nach Bordeaux. Ablaufendes Wasser bremste die Fahrt. Erst am späten Abend erreichten wir unseren Liegeplatz am Fluss. Es roch nach Tang, der an der Spundwand klebte.
Gleich hinter den Lagerhäusern lag die Stadt mit ihren vielfach noch mittelalterlichen verwinkelten Gassen und großflächigen Plätzen. Bordeaux war ein guter Landgangshafen, aber teuer. Als der Lotse von Bord ging wünschte er mir einen guten Aufenthalt in der Stadt mit ihren guten Weinen und dem milden Klima, wie er betonte.
Aber das Klima kümmerte sich überhaupt nicht um seinen Ruf. An diesem Novemberabend war es kalt, dunkel, nass und trüb. Die Möwen saßen in Reihen auf den Dächern der Schuppen und ruhten sich aus. Die Lampen an der Mole mühten sich, mit ihrem Licht das Pflaster zu erreichen und die dort eingelassenen Eisenbahnschienen glänzen zu lassen. Herbststimmung.
Außer uns lagen noch eine Reihe anderer Schiffe am Kay, größere und kleinere; sie bildeten mit ihren Deckstrahlern längs des Flusses eine Lichterkette. Vor uns dümpelte ein Schiff aus Polen, groß, dickbauchig und schwarz, am Schornstein das große Z der polnischen Schifffahrtslinie. Die helle Deckbeleuchtung an den weißen Aufbauten blendete. Breit und behäbig zerrte es an den Trossen, die es mit dem französischen Festland verband.
An Deck des Schiffes, am Ende der Gangway, stand ein Wachmann wie eh und je. Es könnte ja jemand an Bord oder vielleicht unbemerkt an Land gehen. Viel hatte sich seit damals nicht geändert – alles unter Kontrolle, dachte ich und erinnerte mich an die Zeit, als ich in Polen lebte und den Seemannsberuf wegen meiner deutschen Herkunft nur eingeschränkt ausüben durfte. Seeschiffe waren für mich tabu. Das hatte sogar dazu geführt, dass ich auf einer Kolchose arbeiten musste, um zu überleben, bis ich endlich in meine Heimat zurückkehren durfte.
Und ausgerechnet hier in Bordeaux holte mich die Zeit des Kalten Krieges und des Eisernen Vorhangs wieder ein. Dabei hatte ich schon alles vergessen, verdrängt, denn schon lange lebte ich in Freiheit und fuhr als Kapitän zur See.
Aber da war noch etwas anderes hier in Bordeaux, es hing förmlich in der Luft, ich spürte es – was konnte das nur sein?
„Wir beginnen erst morgen früh zu laden“, sagte der Makler. Wir hatten die Fragen zur Ladung geklärt, saßen noch einen Augenblicke zusammen und tranken einen guten Whisky. Heute durfte ich das, wir lagen ja im Hafen.
Die Leute nutzten die Bauernnacht zu einem ergiebigen Landgang, denn die Stadt lockte mit seiner sündigen Meile.
Auch der Steuermann hatte sich schon in Schale geworfen. Jetzt steckte er seinen Kopf durch die Tür und sagte: „Ich geh dann mal los, aber vorher gucke ich noch rüber auf den Polen wegen Handschuhen, wollen Sie auch welche?“ „Okay“, meinte ich, „vielleicht hat da noch jemand Arbeitshandschuhe ganz aus Leder.“
Die polnischen Seeleute verkauften die von ihrer Reederei gestellten Arbeitshandschuhe, das Paar für nur eine Mark, die ganz ledernen kosteten zwei Mark. Für uns aus dem Westen war das ein echtes Schnäppchen, für die Matrosen aus dem Osten aber harte Valuta. Das hatte sich in Seefahrerkreisen herumgesprochen und war bestimmt die Geburtsstunde der späteren Polenmärkte. Das Geschäft florierte.
Als ein polnischer Seemann einmal gefragt wurde, warum er so geschäftstüchtig sei, sagte er lachend: „Wir sind schließlich Handelsmarine!“
Im Schiff wurde es langsam ruhiger. Der Maschinist hatte den Hafenjockel laufen, der Koch spülte noch schnell die Fliesen der Kombüse, die Seeleute hatten sich abgemeldet. Ich freute mich auf die ruhige Nacht und wollte mal wieder richtig ausschlafen.
Da klopfte es an der Tür. Ein fremder Seemann, im Arbeitspäckchen und mit Pudelmütze auf dem Kopf stand vor mir. Er zeigte mir ein paar helle lederne Arbeitshandschuhe und sagte: “Ihr Mate sagen, Sie Handschuhe wollen, ich bringen.“ „Gut, gut, kommen sie rein.“ Der Mann trat in den Salon, die Pudelmütze hatte er sich vom Kopf gezogen und klemmte sie nervös zwischen die Handschuhe in seiner Linken, als ich ihm meine Hand zur Begrüßung reichte. „Banaszak“, sagte ich. Er antwortete: „Blaszak!“ Wir sahen uns an und er kam mir bekannt vor, obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte.
„Kapitän?“ Er schaute mich an. „Tak“, sagte ich. „Wir können auch polnisch sprechen.“ Er freute sich, nicht radebrechen zu müssen. Ich bezahlte ihm die zwei paar vollledernen Offiziers-Arbeitshandschuhe und dann lud ihn dann zu einem süffigen deutschen Bier ein. Wir unterhielten uns darüber, wo er herkomme, welches der letzte Hafen gewesen sei, welche Ladung er an Bord hatte.
Plötzlich schien er etwas zu überlegen und meinte: „Ihr Name kommt mir sehr bekannt vor. Kommen sie aus Sroda bei Posen?“ „Nein, aber mein Großvater väterlicherseits war dort zu Hause.“ „Ist ihr Vater vielleicht Frisör von Beruf?“
„Ja“, erwiderte ich überrascht.
„Heißt er Siegmund?“
„Ja“, bestätigte ich erneut.
„Dann ist er der Freund meines Vaters. Die beiden haben ihre Jugendzeit miteinander in Sroda verbracht und waren eng befreundet. Vom Siegmund hat mein Vater sehr viel erzählt.“
Jetzt wusste ich, was da in der Luft gelegen hatte. Es war die Ankündigung dieser unglaublichen Begegnung.
Das musste begossen werden!
Ich stellte zu den Bierflaschen die Flasche mit Whisky auf den Tisch und klingelte nach dem Koch, der noch ein paar Appetithäppchen zauberte. Wir Söhne, Tadek und ich, feierten das unverhoffte Kennenlerntreffen in einer Novembernacht in einem Hafen außerhalb der Grenzen unserer Länder, und wir redeten die ganze Nacht über unsere Väter.
Das Schicksal hatte die beiden Freunde, Janek und Siegmund über Jahrzehnte getrennt. Ein Wiedersehen erlebten sie nicht mehr. Jetzt führte die Vorsehung ihre Söhne auf eine wunderbare Weise zusammen – vielleicht, um das unsichtbare Band der Freundschaft zu erneuern.
Es war früh am Morgen, als Tadek zurück auf sein Schiff ging. Doch vorher versprachen wir einander, uns regelmäßig zu treffen.
Leider ist bei der christlichen Seefahrt die Einlösung solch eines Versprechen schwierig.
War ich an Land, fuhr Tadek zur See. Hatte er seinen Urlaub, war ich unterwegs. So vergingen die Jahre, und wir haben uns nie wiedergesehen.
Von diesem Treffen erzählte ich meinem Sohn. Bestimmt weiß auch Tadeks Nachkömmling von dieser Begegnung in Bordeaux. Wenn die Fügung es will, werden auch unsere Söhne irgendwann, irgendwo einmal auf eine wundersame Weise zusammen kommen und über ihre Väter reden und das gerissene Band neu knüpfen.
„Aus meinem Logbuch“. Heitere und ernste Kapitänserinnerungen.
Zeitgut Verlag Berlin.
ISBN 978-3-86614-144-5 9,90 Euro
Nach der Seemannsschule im Dez.71 fing ich auf diesem herrlichen Kümo als Moses an.Kapitän war Günter Mettendorf aus Otterndorf,an den Steuermann kann ich mich nur noch schwach erinnern.Maschinist war Rudi Kacmarek, sein Assi Eduardo Santez Cores, der Koch hieß Peter Vestewig.Die Deckscrew bestand aus Wolfgang Schütt (Zampo),Matrose, Hannes Weihrauch,Matrose, Fiete ?,Decksmann und meiner Wenigkeit.Gerne erinnere ich mich an die „Mariona“ (so hieß sie aus Chartergründen damals) zurück.Es war mit die schönste Zeit für mich!Liebe Grüße!