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Begegnungen

editionleselust  anthologie 2009

Begegnungen

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ISBN 978-3-86675-902-2,

Engl. Broschur,

214 Seiten, 15,– Euro,

45 Texte, Gedichte und Geschichten.

Und  die   Geschichte: „Ich wollte doch nur wissen, ob ich ein Wunschkind bin“, ist  von Harry Banaszak.

Hier eine Leseprobe.

Ich wollte doch nur wissen, ob ich ein Wunschkind bin.

Wenn ich heute, so von meinem Geburtstag und -jahr zurück rechne, musste ich an  einem  Augusttag des Jahres 1930 gezeugt worden sein. In der Wohnung meiner Eltern, Berliner Ackerstraße, zweiter Hinterhof rechts, genauer gesagt: In einer Stube und Küche, in die nie ein Sonnenstrahl fiel.

Nach neun Monaten dann, Ende April des nächsten Jahres, 1931, wurde ich geboren.

Aber lassen Sie mich berichten, was danach geschah: 

Als ich vier Jahre alt war trennten sich meine Eltern und es  kümmerten sich, bis zu meinem neunten Lebensjahr, viele Muttis, Omas um mich, auch Tanten und Onkel, die alle nur das Beste wollten. Doch niemand schien es ernst zu meinen. Daher musste ich in vielen Betten schlafen und konnte in keinem warm werden.

Erst neunjährig, war ich endlich von meiner eigenen Mutter aufgenommen worden und war glücklich. Eines Tages saß ich am Küchentisch in ihrer Wohnung  und brütete über einen Schulaufsatz mit dem Titel: Mein zu Hause, meine  Heimat.

Eigentlich, überlegte ich, müsste ich auch etwas über die Liebe schreiben, denn der Lehrer sprach in der Schule von Liebe und Heimat,  aber davon wusste ich noch nicht viel. Ich  legte den Federhalter beiseite und  fragte ganz unschuldig und erwartungsvoll: „ Mutti, hast du mich lieb?“ Sie hielt mit dem Putzen inne und meinte: „ Wie kommst du darauf?“ Ich sagte: „Weil  ich wissen möchte, wo ich  zu Hause bin, denn wo das zu Hause ist, sagt der Lehrer, ist auch Liebe.“ Mutter runzelte die Stirn, aber ich  fragte  weiter: „Sag mal Mutti, bin ich auch wie mein kleiner Halbbruder ein Wunschkind? Das sagt doch dein Mann, der „Vati“, wenn er von ihm spricht.“

„Warum fragst du so etwas?“ „Also, war ich nun ein Wunschkind, oder nicht?“, mit trotziger Ungeduld wiederholte ich meine Frage, auch auf die Gefahr bestraft zu werden.

„Eigentlich war die Begegnung mit dem Apfel daran  schuld“, antwortete sie ausweichend, ohne auf mein patziges Fragen zu reagieren. Ich musste sie wohl mit meinen Fragen, vor allem mit der, ob ich ein Wunschkind sei,  vollkommen  durcheinander gebracht haben. Sie schwieg und überlegte. Ich wartete, denn mit dem Apfel, von dem sie vorhin sprach, konnte ich nichts anfangen, ich wollte  nur wissen, ob sie mich liebte und, ob ich ein Wunschkind war.

Meine Mutter legte das Staubtuch zur Seite, setzte sich zu mir an den Küchentisch, hatte plötzlich Zeit und begann zu erzählen. Sonst sprach sie kaum über sich und von früher.

„Die  Äpfel hatte ich damals gleich nebenan in der Ackerhalle gekauft,“ sagte sie, „an dem Obststand, wo mich immer der junge Mann mit dem gesinnungsbetonten Oberlippenbärtchen bediente und  ich es süß fand, wenn er mich so übereifrig fragte: „Darf es ein Äpfelchen mehr sein, Gnädigste?“ Schön und männlich fand ich sein Bärtchen, ein  haariges Viereck   unter der Nase, das beim Sprechen  auf und ab hüpfte. Dass der Obstverkäufer das Bärtchen nach dem Vorbild eines Politikers trug, erkannte ich zu der Zeit nicht“, beteuerte sie. „Was kümmerte mich Politik, die roten Fahnen und braunen Hemden“, fuhr sie fort. „Und die Schlagzeilen in den Zeitungen habe ich nicht gelesen, die von massiven Macht- und  blutigen Straßenkämpfen der Rechten und Linken berichteten. Ich war 23 Jahre jung, trug eine modische blonde Kurzhaarfrisur. Mich interessierten nur schöne Kleider und ich liebte Marschmusik. In meinen Jungmädchentagen träumte ich von  einem feschen Leutnant. Aber als ich  in der Invalidenstraße,  im Friseursalon Grünwald, deinem Vater begegnete, dem Sohn eines polnischen Wanderarbeiters,  der mir den Bubikopf schnitt, war dieser  Traum verflogen. Ab sofort hatte ich  alle Leutnants aus und um Berlin, Potsdam und Brandenburg vergessen. Nun gab es nur noch deinen Vater.“

Mutter kam ins Schwärmen, als sie von den ersten Begegnungen mit meinem Vater erzählte, und  von dem regen Verkehr an der Kreuzung  Brunnenstraße, Veteranenberg und Invalidenstraße, als man dort kaum über die Straße kam und ein Schutzmann den Strom der vielen Fußgänger und der Fahrzeuge regelte.

„Ja, was war nun mit dem Apfel?“ wollte ich endlich wissen.

„Ein warmer Sommertag ging zuende“, erzählte sie, gar nicht auf meine Frage eingehend, und kam auf Einzelheiten  zu sprechen nach denen ich sie nie gefragt hätte. Ich wollte nur wissen, was hatte der Apfel mit mir zu tun. Aber  Mutter  war nicht zu bremsen und die Worte sprudelten nur so  aus ihrem  Munde.

„Dein Vater mochte keine Äpfel, ich neckte ihn und  es war Vollmond, als ich diesen Wunsch verspürte und zu ihm  sagte: Adam würde bestimmt gerne in diesen Apfel beißen.  Dein Vater ein hübscher Kerl damals, dunkelhaarig, nicht sehr groß, aber sportlich, sehr beweglich, er verstand, was ich mir wünschte und  ließ sich nicht zweimal bitten. Schwülwarm strich die Abendluft vom Hof durch das geöffnete Stubenfenster. Die Gaslaternen in den Straßen mochten bestimmt schon angezündet worden sein, der Vollmond schien auf die Mauer des gegenüberliegenden Hauses und reflektierte schummrige Helligkeit. Dein Vater und ich spürten uns so  intensiv wie nie zuvor.“

Ich hatte den Eindruck, meine Mutter versuchte mir glaubhaft zu versichern, ohne es auszusprechen, dass ich, gerade wegen dieser Begegnung mit dem  Apfel, ein Wunschkind war.

Aber so richtig verstand ich das nicht,  wusste auch nicht, was sie meinte, doch sonst fand ich die Geschichte recht spannend.

Und die Geschichte ist noch nicht zuende.

Neugierig geworden?

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