Kurzgeschichten

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Die Viertelstunde von eins bis vier.

Mein erstes Schiff als Steuermann.

Die Viertelstunde: „Von eins bis vier.“

Eine Leseprobe aus meinem Buch: „Abenteuer See“,  – Spannende Kapitänsgeschichten – , erschienen im Steffen Verlag Friedland, 128 Seiten, 33 Abbildungen, Broschur, ISBN 978-3-940101-99-0,    9,95 Euro.    www.steffen-verlag.de

Die Seefahrtschule war Geschichte. Drei Semester hatte ich gebüffelt. Das Ticket war der Lohn. Jetzt konnte ich loslegen. Die Zeichen für einen Job in der Seeschifffahrt standen gut. Schon bei der  ersten Anfrage  in Cuxhaven  wurde ich vermittelt und bekam meinen ersten  Job als Steuermann. “Welches Fahrtgebiet?“ fragte ich wie früher in meiner Matrosenzeit, als ich zwischen Fernost, Staaten oder Karibik wählen konnte. „Nord-Ostssee“, sagte mir das Fräulein von der Vermittlungsstelle recht nüchtern.

„Bei einer Reederei aus dem Kehdinger Land. Hier die Telefonnummer, fragen Sie, wann und wo Sie einsteigen können.“ „Danke“, sagte ich nur. So richtig  zufrieden war ich nicht. Ich hatte mehr Bewunderung in der Stimme der Dame erwartet.    Doch neugierig auf den Job als Schiffsoffizier rief  ich  bei meinem zukünftigen Brötchengeber an. Der brubbelte nur  was von: „Ich melde mich, Sie werden abgeholt.“ Auch von diesem Gespräch war ich enttäuscht, ein paar persönlichere Worte hätten mir gut getan.

„Das du abgeholt wirst, ist doch gut“, tröstete mich meine Frau, aber ich war mir da nicht so sicher, „vielleicht will der Reeder nur sehen wo ich wohne und wie ich lebe, außerdem ist das die preiswerteste Art seine Leute an Bord zu kriegen, habe ich mal gehört“, sagte ich misstrauisch, „es spart Taxi- und  Bahngeld.“

Drei Tage später stand der Schiffeigner persönlich vor der Tür. Bevor wir zum Schiff fuhren ließ er sich den Heuervertrag unterschreiben. Ich las  vor meinem Namen: 1. nautischer Offizier, und ich  unterschrieb ohne den Rest mit den Anmerkungen zu lesen.  Das war ein Fehler.

Mit geschwollener Brust stieg ich, meinen alten Koffer hinter mir herziehend,  in den  uralten Reederei-Buss, der  vorm Haus stand. Meine Frau winkte noch einmal zum Abschied und ich bemerkte wie sie sich wehmütig  eine Träne aus dem Auge wischte. Auch am Himmel zogen dunkle Wolken auf und untermalten die Traurigkeit des Abschieds.

Die Fahrt nach Bremerhaven verlief schweigend. Ich war still in mich gekehrt  und harrte der Aufgaben, die nun auf mich warteten. Auch der Reeder hatte keine Fragen, wahrscheinlich wusste er, vom Arbeitsamt informiert, mehr über mich, als mir lieb war. Jedenfalls war sein Mund ein Strich und er konzentrierte sich mit zusammengekniffenen Augen  auf den Verkehr. Vielleicht braucht er eine Brille, dachte ich.

In Bremerhaven fuhren wir zum Innenhafen.

Dort, hinter der Schleuse, lag das kleine Schiff. 299 BRT groß. Löschte Stückgut, schwabbelte im braungrünem Hafenwasser und schüttelte  sich bei jeder größeren Hieve, die im Laderaum angeliftet wurde.

Die Wolken hatten sich verzogen, etwas Sonne schien auf die vielen frischen  Mennigestellen der  grauen Außenhaut des Schiffes und lies sie roter erscheinen, als sie wirklich  waren. Wie von Windpocken befallen sah es aus. Fleißig, fleißig dachte ich, hier wird richtig gearbeitet. Das Schiff gefiel mir. Klein aber fein.

Viele Kisten und Säcke aus der Ladung stapelten sich schon an der Pier und warteten auf ihren Abtransport. Zwei Seeleute hingen auf der Stellage und arbeiteten die Mennigestellen ab,  verpassten der alten Shell-Plaiting ein schönes, freundliches Grau.

Möwen krakelten im Hafenbecken und stritten sich um einen Fisch. Das Ladegeschirr stöhnte unter der Last der Kisten.

Den Eingang zum Salon des Kapitäns konnte ich leicht finden, er befand sich Vorkante Brücke, direkt  unter dem Ruderhaus.

Gleich von Deck trat ich von der Backbordseite durchs Schott in einen kleinen Vorraum von dem es in die Maschine, in die Kombüse, dann etwas weiter zum Kapitän und über einen Niedergang auf die Brücke und ins Ruderhaus ging.

In der Kombüse hantierte der Koch mit Töpfen am Herd. Der Kapitän saß vor seinem Schreibtisch im Blaumann und einer Prinz Heinrich Mütze auf den zotteligen Haaren und kramte in einem Wust von Papieren.

„Moin, Käptn“, sagte ich.   Der „Alte“ drehte sich halb um. „Da seid ihr ja, dachte, muss schon allein auslaufen. Trinkst ´n Tee, Stür?“ Es war zwar gerade, oder schon vier vorbei, eigentlich zu spät für Coffee-Time, oder eben Tea-Time, doch egal, jedenfalls empfand ich die Frage als gute Willkommens-Geste des „Alten“.

Dann sah er mich an: „Haste ´n Patent für die Maschine?“ „Ach ja“, sagte ich, „ haben wir in Grünendeich auch gemacht, das Cmot.“ Jetzt ahnte ich, was von mir erwartetet wurde. Aber egal, vielleicht gibt´s zur Heuer noch ein paar Märker extra, dachte ich und erinnerte mich an den langen Absatz im Vertrag, den ich  gesehen, doch nicht gelesen hatte.

Dann steckte auch der Eigner seinen Kopf durch die Tür: „Hier dein neuer Steuermann“, sagte er knapp, „lass mal zwei Jungens den Proviant aus dem Kofferraum holen, der Steuermann kann auch mit anfassen.“

Watt denn nu, dachte ich, erst die Einladung zum Tee, dann soll ich Proviant schleppen. Ich hatte mich schon gewundert, dass achtern im alten Buss so viel Kram mit Persenninge abgedeckt war, und aus dem Handschuhfach zentimeterlange Einkaufszettel verschiedener  Discounter  herumlagen, die  Belege vom  Proviant.

Von solchen Familien-Reedereien hatte ich schon gehört mir aber nie ´n Kopp gemacht, was da so anders sein sollte, als bei den

größeren Reedereien, nun war ich voll dabei es zu erfahren. Natürlich war ich mit meinem Ticket kein besserer Typ geworden, aber die Matrosenzeit hatte ich gehofft, sollte nun doch vorbei sein.

Was soll´s, ich wollte es mir nicht gleich mit dem Eigner des Schiffes verderben und ging an die Pier zum Wagen. „He, Tag auch“, nicht moin oder guten Tag, ich bin der neue Steuermann, ganz einfach nur: „He, Tag auch“, sagte ich zu den beiden Seeleuten, die sich  gerade, vollbepackt mit je einem Sack, an mir vorbei drängten. Keine Antwort.  Der eine war Türke, der zweite ein Deutscher, wobei, das erfuhr ich später, der Türke der Matrose ohne Brief und der Deutsche der Decksmann war. In der Kombüse kochte ein Landsmann von den  Kapverdischen Inseln, der, wenn Not am Mann war, auch an Deck aushalf.

Die beiden Männer zwängten sich mit den Kartoffelsäcken an mir vorbei, als wäre ich Luft. Komische Typen schoss es  mir durch den Kopf, und  wie die mich ansahen. Hm, wird schon werden, dachte ich.

Ich zog eine Kiste mit Äpfeln aus dem Wagen, wuchtete sie mir  auf die Schulter und schleppte sie über die Gangway nach achtern.  Der Proviant, die  Säcke, Kisten, Kartons und Tüten wanderten durch die Luke zum Rudermaschinenraum. Dort stand der Koch, nahm die Sachen in Empfang und  staute alles in den Verschlag an der Backbordseite, der Proviantlast. Dort lagerte das  Grünzeug, die   Kartoffeln, Konserven und H-Milch. An der   Steuerbordseite, direkt  gegenüber, stand die Waschmaschine und im Maschinen-Vorraum, ein Stückchen weiter,  waren  zwei Eistruhen für Brot,  Fleisch- und Wurstwaren.Am Proviant wurde nicht gespart, das sah ich an dem, was wir hier so an Bord schleppten.  „Das halbe Schwein und das Stück Rind ist  direkt vom Erzeuger“, hörte ich den Reeder zum Alten sagen. Die beiden standen an Deck und unterhielten sich. Zum Einfrieren musste der  Koch, ein Bäcker und Konditor, die Viecher zerlegen. Und das konnte er, denn er war nicht nur Seemann auch Artist.Aus dem Teetrinken wurde nichts. Der Alte war an der Luke und  überwachte die Löscharbeiten, also ging ich nach unten, Hotel zur Schraube  und  sah mich um. Für mich und dem Maschinisten gab es nur eine Toilette und Dusche, die  lag zwischen den beiden Kammern.In der Koje sah ich  zwei graue Decken und ein altes Sofakissen. Daraufhin ging ich wieder an Deck und fragte nach Bettwäsche.

„Wenn du dir nischt, mitgebracht hast, dann haste nischt“, sagte der Alte, „aber da sind doch zwei Decken, eine für unten und die andere zum Zudecken.“ Dann erkundigte ich mich noch nach dem Meister.  „Maschinisten brauchen wir nicht, das machen wir nebenbei“, sagte der Kapitän, und rief den türkischen Matrosen von der Stellage, um ihn in den Fettkeller zu  schicken:  „Ballastpumpe abstellen“, sagte er nur knapp befehlend, „Gehen Sie gleich mit“, meinte er im gleichen Atemzug zu mir, „damit Sie die Maschine kennen lernen“. „Ja natürlich“, konnte ich nur antworten und zog ab. Jetzt ging mir ein Licht auf und ich  wusste genau, was ich im Heuervertrag versäumt hatte zu lesen.

Es gab bannig  viel zu lernen merkte ich.

Die beiden Leute waren schon wieder auf der Stellage und  malten Grau.

Die Docker wirtschafteten an Land und im Laderaum wie auf eigene Rechnung. Seeleute wirbelten durch die Maschine, der Koch riss mit an Deck. Der Kapitän kochte Kaffee. Der Steuermann war Mädchen für alles. So zu arbeiten  war für mich gewöhnungsbedürftig. Darüber hatte man auf Seefahrtschule nicht gesprochen. Früher  auf den  polnischen Schiffen der Küstenfahrt,  auf denen ich nach dem Kriege viele Jahre fuhr und den deutschen in der  Großen Fahrt, so erinnerte ich mich, erlebte ich eine andere Ordnung. Alle Arbeitsabläufe unterlagen strengen, geschriebenen oder traditionell bestimmten, Gesetzen. Solange ich denken kann war Maschine Maschine, Deck Deck und das Kombüsen- und Bedienungspersonal eine Truppe für sich.

Ganz oben in der Hierarchie stand der Kapitän, dann kamen die Offiziere und Ingenieure. Und es gab Bettwäsche,  blaue für die Mannschaftsgrade und weiße für den Rest der Welt, aber es gab sie und auch einen Chinesen für die Wäscherei, der manchmal eine Stewardess war.

Gleich nach dem Abendessen war das Schiff entlöscht und es wurde mit dem Laden begonnen.

Und Hieve um Hieve verschwand lautlos im Laderaum. Bis auf das leise Knattern des Hafendiesels vorn unter der Back, das Summen der Winden und ächzen der Drähte, das Plätschern der vom Wind aufgebrachten kleinen Wellen außenbords am Schiff, war es still im Hafen.

Auch die Docker der zweiten Schicht  kannten das Schiff. Sie arbeiteten schnell und professionell.

„Morgen früh laufen wir aus“, sagte der Alte noch in der Messe zu mir, der Koch räumte schon das Geschirr von der Back, „nach Schweden, Södertälje und Köping, ich gehe oben rum, von der Nordsee durch den Skagerrak und Kattegat sind es zwar mehr Meilen, aber bei gutem Wetter, soll es sich rechnen. und der Wetterbericht ist gut, Norddeich hat nichts auf dem Zettel,  die NOK-Passage kostet richtiges Geld.“

Das war eine richtige Ansprache, ich war überrascht, denn bis jetzt hatte ich den Kapitän, genau wie den Reeder, nur sehr wortkarg kennen gelernt. Dann meinte der Alte noch: „Stür, der Dampfer muss morgen früh, wenn er  beladen ist,  ein Fuß im Gatt liegen, dein Job, sieh zu wie du mit den Schauerleuten klar kommst.“ Dann drehte er sich um und verschwand in seiner Kabine. Das war die klare Anweisung zur Nachtwache. Ich sagte: „Hmm“, mehr war nicht drin.

Um 09 Uhr, nächsten Morgen,  liefen wir aus. Das mit dem einen Fuß im Gatt hatte ich hingekriegt, trotz Gedöns und Gequake der Docker.

Die Maschine schmiss der Alte an, aber zum Leinen los musste ich  noch nach vorn, auf die Back, und auch  beim Schleusen durfte ich dabei sein. Erst dann begann meine Freiwache, bis Mittag, aber vorher war Essen angesagt und  fünf vor 12 hatte ich oben auf der Matte zu stehen, um den Alten abzulösen.

Natürlich geht es auch in einem familiären Seebetrieb nicht ohne Ordnung und Gesetze.

Die wichtigsten, hier an Bord geltenden Vorschriften, verklug fiedelte mir  der Alte  gleich heute Morgen beim Frühstück. Er sagte zu mir: “Steuermann, wenn sie hier fahren wollen, dann merken sie sich eines, wir sind immer pünktlich, egal wat für´n Wetter und in der viertel Stunde, von mittags eins bis vier, hat an Bord absolute Ruhe zu herrschen. Ich möchte nicht gestört werden. Es gibt nur drei Ausnahmen: „Erstens, das Schiff sinkt, zweitens, Feuer an Bord, oder drittens, hübsche Mädchen stehen  vor der Kammertür!“ und diesen Satz mit den Mädchen beendete er mit einem  polterhaften, lauten  Lachen, das in arges Husten überging. Ich hatte verstanden.

Auf der anschließenden Reise hatte ich während der 12-04 Mittagswache den deutschen Decksmann als Ausguck auf der Brücke.  Da sprach ich ihn an,  versuchte mich mit ihm zu unterhalten. Anfangs bekam er die Zähne kaum  auseinander, doch als er merkte, ich interessiere mich mehr für sein privates Leben,  woher er komme, ob er Frau und Kinder hätte, und so,  löste sich seine Zunge. Dabei erfuhr ich warum er und der Matrose  sich mir gegenüber so reserviert verhielten. „Der letzte Steuermann war fies und pervers“, prustete er los. „Der weckte uns jede Nacht, zum Ausguck, selbst saß der in der Ecke und poofte. Dann mussten wir  den ganzen Tag an Deck arbeiten. Und um diese Stunden hat der uns auch noch  beschissen. Aber der war nicht lange an Bord. Inzwischen sind sie der dritte Steuermann, den ich in den letzen zwei Monaten erlebe.“

„Und der Alte, was sagte der dazu?“ „Wenn es jemandem an Bord nicht gefällt“, hatte der gesagt,  „im Heuerstall warten schon andere, die hier gern fahren würden. Reisende solle man nicht aufhalten.“

„Und im Herbst will ich heiraten.“

„Nicht gut,“ quetschte ich durch die Zähne

Mit  diesem Schiff machte ich  nur eine Rundreise,  ganze 16 Tage. Das war die kürzeste Fahrzeit in  meiner jahrzehnte langen Arbeit auf See.  Gleich nach diesem Törn stieg ich in Bremerhaven aus und  fuhr mit dem Zug nach Hause. Meine beiden Seeleute bekamen nun  den vierten Steuermann.

Diese, in meinem Seefahrtbuch eingetragene und vom Seemannsamt verifizierte „Kieler Fahrzeit“,  erinnert mich noch heute an  Sitten und Gebräuche, wie aus dem 19 ten Jahrhundert. Vieles hat sich „Gott Sei Dank“  zum Besseren geändert.

Doch auch noch im Jahre 2000,  fuhr ich Küstenschiffe von 1593  BRZ, ganz legal unter deutscher Flagge, die   nur vier Mann Besatzung in der Musterolle  eingetragen hatten: Einen deutschen Steuermann und drei philippinische Jan-Maaten. Keinen Maschinisten und auch keinen Koch.  Der Kapitän gehörte als Fünfter  auch noch dazu, war aber laut Gesetz kein Mitglied der  Besatzung. Deshalb  unterlag er auch  nicht den allgemeinen  gesetzlichen Bestimmungen, die für  Einhaltung der Arbeitszeiten auf See vorgeschrieben  waren.

Allein die See-Wachen, sechs um sechs, ergaben für ihn  eine Wochenarbeitszeit von 7 x 12 Stunden = 84 Stunden plus Revierfahrten und Ladewachen. Das waren oftmals schlappe 400 Stunden im Monat. Diese Reglungen haben immer  noch ihre Gültigkeit und werden auch heute auf Schiffen in der Kleinen Fahrt angewandt. Deshalb ist die Einhaltung der mittäglichen Ruhezeit der ¼ Stunde, von Eins bis Vier, äußerst wichtig, überlebenswichtig. Das habe ich in den folgenden Jahren am eigenem Leibe erfahren.

Und wenn bis heute  nichts geändert wurde, dann wird auch so bleiben.

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2 Responses to “Die Viertelstunde von eins bis vier.”

  1. Jogi aus Berlin sagt:

    Wahrhaftige Geschichte,super geschrieben.
    Weiter so…

  2. Rolifred sagt:

    Gelungen aus dem Leben gegriffen.
    Freue mich auf das nächste Buch.

    mfg
    Rolifred

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