Herzklopfen 2010
Herzklopfen
ISBN 978-3-86675-903-9
150 Seiten 15,00 Euro
Texte, Gedichte und Geschichten
Erzählung aus der Anthologie Herzklopfen 2010
„Teophils Herzklopfen und das Hundermarkbier“
Von Harry Banaszak
Die Regale in dem Supermarkt sind proppenvoll. Alles ist sortiert gestapelt. Glitzernde, bunte und praktische Dinge scheinen zu rufen: Nimm mich, greif mich, bezahlen brauchst du erst an der Kasse. Und bis zur Kasse ist noch ein weiter Weg! Die Versuchung ist groß. Nicht nur für Theophil. Erst einmal zugreifen, nicht überlegen. Rein in den Einkaufswagen, der so leicht rollt, fast schwerelos dahingleitet. Der Moment des Denkens kommt dann erst einige Schritte weiter: Das kostet ja Geld!
Wieder weglegen? Einfach so einstecken? Was passiert dann? Merkt das einer? Sind hier Kameras oder Detektive? Ich glaube kaum, denkt Theophil und sein Herz klopft ihm bis zum Hals. Vielleicht ist der Mann dort, der da im Sakko, Schlips und Kragen, ein Detektiv?
Nein! Der sucht nur seine Frau mit dem Einkaufswagen. Oder, vielleicht der junge Mann in der Lederjacke? Nee, der geht mit seinem Brot zu den Kassen. Möglich, dass es hier keine gibt und auch keine Kameras. Das kostet nur Geld. Und die Märkte müssen sparen.
Das sagte auch Theophils Nachbar. Und der muss es wissen. Letztens kam er doch mit einem Satz Zündkerzen nach Hause. „Für umsonst“, meinte er, und zwinkerte mit dem rechten Auge, was soviel heißen sollte: Weißt Bescheid Kumpel, da istkeiner. Und wer das nicht nutzt, ist doof.
Theophil hat eine Flasche Whisky für 27,98 Mark und eine kleine Flasche Parfüm für 39,98 im Einkaufswagen. Waren für fast 70 Mark. Verflixt teuer, denkt er und dreht noch eine Runde durch die verschiedenen Abteilungen. Beim Tierfutter ist nichts los. Schwupp steckt er die Whisky-Flasche hinter den Hosenbund und das Parfüm in die Tasche. Jacke drüber, fertig. Ans Herz gar nicht denken. Da soll mal einer was sehen können. Jetzt schnell zu den Getränken. Eine Dose Bier kommt in den Wagen. Die wird aber bezahlt und ab zur Kasse. Ist wirklich einfach. Die machen es einem aber sehr leicht. Selber schuld.
„Guten Tag“, sagt die Frau an der Kasse. „Piep“, meldet sich der Scanner, als die Dose mit dem EAN-Code das Einlesegerät passiert.
„Einsneunundfünfzig bitte“, sagt die Kassiererin.
Theophil kramt übereifrig in seinem Portmonee. Ein wenig aufgeregt ist er schon. Gut, dass man sein Herzklopfen nicht hören kann. „Warten Sie, ich hab’s passend.“ Das freundliche „Danke“ der Kassiererin ist zu hören. Theophil nimmtden Bon und das Bier. Mit einem erleichterten, „Auf Wiedersehen“, wendet er sich dem Ausgang zu.
„Guten Tag“, sagt ein unscheinbarer, älterer Typ und versperrt Theophil den Weg. Teophils Herzschlag setzt fast aus. Er möchte ohnmächtig werden.
„Ich bin der Hausdetektiv,“ stellt er sich vor und zeigt seinen Ausweis.
„Ich glaube, mein Herr, sie haben etwas vergessen zu bezahlen“.
„Wie kommen sie denn darauf?“ Theophil ist empört.
„Hier ist der Kassenbon, das Bier habe ich bezahlt!“
„Nein, lieber Mann, die Flasche unter ihrer Jacke, die meine ich und das, was Sie noch in ihrer Tasche haben, bitte kommen Sie mit ins Büro, dort werden wir alles in Ruhe klären.“
Teophils Herz bummert und treibt ihm Schamesröte ins Gesicht. Es folgen eine Strafanzeige wegen Ladendiebstahl und zwölf Monate Hausverbot in allen Häusern der Warenhauskette. Am empfindlichsten trifft ihn aber die Bearbeitungsgebühr: Hundert Mark. Die gestohlenen Waren werden einbehalten. Die Dose Bier darf er mit nach Hause nehmen. Die ist ja bezahlt. So ist das Bier zu einem teuren Vergnügen geworden, zu einem Schluck für hundert und eine Mark und neunundfünfzig Pfennig. Nur das Herzklopfen, das hatte er umsonst.
Jetzt mag Theophil kein Bier mehr. Was zu verstehen ist.